Thomas Morus – ein moderner Heiliger?
Kennen Sie Thomas Morus? Was würden Sie auf diese Frage antworten? Immerhin ist Thomas Morus nicht irgendein Heiliger, sondern unser Kirchenpatron.
Wahrscheinlich wissen Sie, dass er das Buch „Utopia“ geschrieben hat. Ok, und dann? So ging es mir und so machte ich mich auf die Suche nach unserem Pfarreiheiligen.
Thomas Morus (Thomas More) wurde Mitte/Ende des 15. Jahrhunderts in London geboren, das genaue Datum ist nicht bekannt, es war wohl der 6. Februar 1477/1478. Seinen Sterbetag dagegen kennt man ganz genau: der 6. Juli 1535, denn er starb nicht eines natürlichen Todes, sondern wurde geköpft! Dabei hatte er noch „Glück“, denn der damalige König Englands, Heinrich VIII. „begnadigte“ Thomas Morus und ersparte ihm dadurch unvorstellbare Folterungen.
Doch warum wurde Thomas Morus denn zum Tode verurteilt? War er etwa ein Schwerverbrecher, der gegen die Regeln verstoßen hatte? Und das als Heiliger???? Nein, selbstverständlich nicht! Thomas Morus war ein standfester Christ, ein aufrichtiger und ehrlicher Mensch, der sich sehr für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung aller einsetzte.
Bild: Thomas Morus als Lordkanzler, Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren, 1527 https://upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/d/d2/ Hans_Holbein%2C_the_Younger_- _Sir_Thomas_More_- _Google_Art_Project.jpg
Als zweites Kind eines Rechtsbeamten konnte er Rechtswissenschaften im englischen Oxford und London studieren. Um 1500 lebte er in einem Kartäuserkloster (ein Einsiedlerorden) und prüfte, ob er nicht Priester werden sollte. Zu seiner Zeit gab es in der westlichen Kirche noch keine konfessionellen Unterschiede, aber dies sollte ein wichtiger Punkt in Thomas Morus Leben werden, heute würden wir sagen, dass er sich für das Amt eines römisch-katholischen Priesters in Betracht zog. Doch es sollte anders kommen. Er wurde im Alter von 23 Jahren ein (erfolgreicher) Anwalt in London.
Auch in die Politik zog es ihn und so ließ er sich mit 26 Jahren in das Parlament wählen. 1510 wurde Thomas Morus „under-sherif“ (Richter) von London und war dadurch für die Wahrung des Friedens in der Grafschaft verantwortlich. Diese beiden Aufgaben brachten ihm nicht nur Ansehen – auch beim König, sondern auch Wohlstand.
Mittlerweile hatte Thomas Morus eine Familie gegründet. Aus der Ehe mit Joan Colt gingen vier Kinder hervor. Es wird berichtet, dass das gemeinsame Gebet und das Lesen der Bibel in der Familie und der Dienerschaft gepflegt wurde. Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau heiratete er die Witwe Alica Middleton.
Thomas Morus war unter Gelehrten und Künstlern sehr angesehen. Vor allem sein Buch „Utopia“, geschrieben 1516, machte ihn berühmt. Auf der Insel Utopia lebt ein – in unseren heutigen Augen sehr normales – Volk in Gleichberechtigung, Gleichheit und Demokratie, gebildet und ohne gesellschaftliche Unterschiede. Größer konnte der Kontrast zur damaligen Wirklichkeit nicht sein.
Beruflich ging es mit Thomas Morus steil bergauf:
• 1517 Mitglied des Kronrates,
• 1518 Sekretär der Königs,
• 1521 Unterschatzmeister mit Ritterschlag,
• 1529 Lordkanzler (oberste königliche Kaplan und Ratgeber in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten).
Seine Bildung und sein Glaube wurden von König Heinrich benötigt, um den Streitschriften Martin Luthers gegenüberzutreten. In dieser Zeit wandelte sich Thomas Morus „vom liberalen Humanisten zum rigiden Verteidiger der Kirche“ (aus Heiligenlexikon). Dank seiner Schriften erhielt König Heinrich vom Papst den Ehrentitel „Verteidiger des Glaubens“ verliehen, was in Anbetracht der weiteren Geschichte sehr kurios klingt.
Heinrich VIII. war kinderlos verheiratet mit der Nichte des mächtigen deutschen Kaisers Karl V. (zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde man nur aus Gottes Gnaden mit dem Segen des Papstes gekrönt), der aus dem katholischen Haus der Habsburger stammte und damals der mächtigste europäische Herrscher war.
Heinrich aber „unterhielt eine Beziehung zu seiner Hofdame“ (aus Heiligenlexikon) und bestand beim Papst auf die Annullierung der bestehenden Ehe – ohne Erfolg. Auch Thomas Morus blieb seiner religiösen Einstellung treu und erachtete die Scheidung als nicht rechtskräftig! Der Bruch mit König Heinrich war da. Thomas Morus trat als Lordkanzler zurück.
Was machte Heinrich? Da er einen Thronfolger brauchte, löste er sein Reich von der Kirche in Rom, ließ zu seinen Gunsten die englische Verfassung umschreiben und gründete eine neue Kirche, die Anglikanische Kirche, deren religiöses Oberhaupt er nun war.
Thomas Morus verweigerte den eigentlich verpflichtenden Treueeid gegenüber dem politischen und nun auch (neuen) kirchlichen Oberhaupt und blieb dem Papst und der katholischen Kirche treu. Dieser „Hochverrat“ brachte Thomas Morus ins Gefängnis. Er wurde in den Tower von London eingesperrt, man sprach gegen ihn die Acht aus und sein Vermögen wurde enteignet. Nach 15 Monaten Haft verurteilte man ihn als Hochverräter und wurde zum Tod verurteilt.
Heiligsprechung
Entgegen der früheren Meinung, Thomas Morus sei noch im Jahr seines Todes heiliggesprochen worden, erfolgte die Seligsprechung gemeinsam mit seinem langjährigen Gefährten Bischof John Fisher tatsächlich im Jahr 1886 durch Papst Leo XIII.
Seine Heiligsprechung am 19. Mai 1935 durch Papst Pius XI., wieder gemeinsam mit John Fisher, geschah während der Schreckensherrschaft der NSDAP in Deutschland. Man kann darin ein sehr starkes Zeichen der katholischen Kirche gegen die Hitlerdiktatur und des damit verbundenen nationalsozialistischen Unrechts sehen: ein Familienvater, überzeugter Staatsbürger und Demokrat, ein angesehener und gerechter Politiker lehnt sich gegen die willkürliche Übermacht des Königs auf – und bleibt standhaft. Dementsprechend wurde die katholische Kirche von der NS-Propaganda als „staatsfeindlich“ bezeichnet.
So kann es nicht überraschen, dass Papst Johannes Paul II. Thomas Morus im Oktober 2000 zum Patron der Regierenden und der Politiker ernannte.Patrozinium:
22. Juni (Todestag von Bischof John Fisher)
Winfried Mayr Kirchenpfleger
Quellen/Literatur:
• www.heiligenlexikon.de
• Wikipedia
• Walter Ning: „Thomas Morus, Der Heilige des Gewissens“, Freiburg im Breisgau, Herder Verlag, 1978
• Peter Bergler: „Die Stunde des Thomas Morus – Einer gegen die Macht“, Freiburg im Breisgau, Walter-Verlag, 1978
• Hubertus Schulte Hertrügen (Hrsg.): „Thomas Morus – Gebete und Meditationen“, München, Kösel-Verlag, 1983